Wie Influencer-Marketing funktioniert. Oder eben nicht.

Influencer-Marketing klingt einfach: Wir spannen die Reputation und die Fans einer bekannten und reichweitenstarken Meinungsmacherin vor unseren Karren und vermarkten so mehr oder weniger unverhohlen eigene Produkte, Services und Marken. So weit, so gut. Die Praxis zeigt jedoch, dass auch Influencer-Marketing eine hohe Kunst ist. Das beginnt nicht erst mit der Wahl des richtigen Influencers. Jüngstes Beispiel: Die Allianz eines großen deutschen Versicherer gleichen Namens mit einer Fashion-Bloggerin und Youtuberin aus München.

Die Story in aller Kürze: Eine junge, sonst vor allem mit ausgefeilter Lockenstabtechnik glänzende Frau wird offenbar schon seit Wochen von einer quälenden Frage heimgesucht: Welche Versicherung ist die Richtige für mich? Gepeinigt von Zukunftsängsten macht sie sich auf die Suche nach Antworten.

Am vergangenen Sonntag teilt sie dann ihre Erfahrungen mit ihrer Community ─ das geballte Wissen aus einem dreistündigen Gespräch mit einem Allianz-Berater. Wow, die Dame kann echt was ab! Statt “Outfit-Inspiration” und verwegenen Tipps für die “Neue Festival Saison”, erwarten die Twitter-Follower und Blog-Stammleser dieses Mal unerwartet altkluge Ratschläge: Einfach mal den Mut fassen und das Thema Versicherung in Angriff nehmen – es lohne sich. Ein Leben ohne Haftpflichtversicherung? Unverantwortlich bis kaum noch vorstellbar. Besser gleich aufs Ganze gehen und noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung nachlegen. Ein versicherungsberuhigtes Gewissen scheint künftig das beste Make-up-Kissen.

Schon im Ansatz gescheitert
Die Reaktion der (vielleicht auch gar nicht mal so großen) Fan-Community? Zwei magere Likes für Tweet und Blogbeitrag, ansonsten betroffenes Schweigen im Online-Walde. Zu plump der Versuch der Werbung mit einer vermeintlichen Influencerin, zu unglaubwürdig die Aussagen und geteilten Erfahrungen? Vielleicht sind es aber auch die Fotos vom Informationsgespräch mit dem adretten Versicherungsexperten, die dank feinster Weichzeichneroptik auch noch den treuesten Follower vom Lesen des Beitrags abhalten. Auf Youtube lauert in den nächsten Tagen gar noch die vollständige Videoaufzeichnung des Gesprächs? Nein, liebe Allianz, die Fashion- und Lifestyle-Afficionados dieser Welt wollen das weder lesen noch sehen. Dann lieber 70er-Jahre-Frisurentipps von Herrn Kaiser. Oh, pardon, das war ja die Konkurrenz von der Ergo.

Aber jetzt mal ernsthaft: Hier fehlt es einfach an allem, was erfolgreiches Influencer-Marketing ausmacht: An der richtigen Strategie, am geeigneten Influencer, an hochwertigen Inhalten, glaubwürdigen Aussagen und nicht zuletzt an einer intelligenten Umsetzung. Blockbuster Brand Content? Fehlanzeige! Shareability der Aktion? Zero!

Schuhe, Kleider, Make-up, neue Frisurentrends! Immer her damit. Stylishe Hotels? Auch gut. Aber Versicherungen? Warum sollte sich auch nur ein Lifestyle- und Modefan auf diesem Wege versicherungstechnisch erhellen lassen? Auch positive Effekte auf die Markenwahrnehmung sind unwahrscheinlich. Es sei denn ein neuer Lockenstab ist als Abschluss-Incentive drin.
Wird es bei einer einmaligen Affäre zwischen Versicherungsvertreter und Modebloggerin bleiben? Oder ist eine Fortsetzung der Beziehung zu befürchten? Harren wir der Dinge. Was bleibt, ist die Frage, wie verzweifelt oder mutlos ein Unternehmen sein muss, viel Zeit und Geld in eine derart plumpe und uninspirierte Werbemaßnahme zu investieren. Und auch umgekehrt betrachtet: Welcher Influencer mit echter Mission würde seinen Ruf und seine “Credibility” für eine solche Maßnahme aufs Spiel setzen?

Den Konsumenten ernst nehmen
Das hat kein potenzieller Kunde der Welt verdient. Denn der ist heute einfach klüger, als er es noch zu Herrn Kaisers Zeiten war. Auch dank des Internets. Und vor allem dank Bloggern, die sich ernsthaft mit dem Thema Versicherungen und Finanzen beschäftigen. Der Weg vom Fashion-Blog zu echter Finanzkompetenz dauert im Zweifelsfalle nur wenige Klicks.

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